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DIE SOZIALE BEWEGUNG IN CHINA (IV)


Content:

Die soziale Bewegung in China (IV)
Auf dem Weg zur Machteroberung
Die »Wiederaufbauperiode«: 1949–52
Die Agrarreform: 1947–52
Die »Kollektivierung«: 1953–58
Von den Genossenschaften zu den Volkskommunen
Notes
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Die soziale Bewegung in China (IV)

Seit 1924 tief beeinflusst durch die Degenerierung Moskaus, ist die »kommunistische« Partei Chinas nach den proletarischen Niederlagen von 1927 zum Meister einer bürgerlichen Revolution in China geworden. Wie es Mao Tse-tung offen erklärte, lag ihr Ehrgeiz darin, die Rolle der »echten Kuomintang« zu spielen und das Programm von Sun Yat-sen zu verwirklichen, hatte ja Tschiang Kai-schek dieses Programm kaum und nur schlecht angepackt: nationale Unabhängigkeit, Agrarreform, Industrialisierung. Wir werden jetzt die jeweiligen »Verdienste« dieser beiden nationalen Parteien (Kuomintang, KPCh) vergleichen und die Umstände untersuchen, unter denen sich die bürgerliche Revolution durchsetzte: ihren eigenen Widersprüchen ausgeliefert, in die Zange des Weltimperialismus genommen, ohne die aktive Unterstützung und die weitsichtige Führung des internationalen Proletariats. Die Durchführung dieser bürgerlichen Aufgaben wird jedoch durch eine seltsame Umwandlung bald »Aufbau des Sozialismus« genannt und die Partei, die ständig offen die bürgerlichste Plattform innerhalb der Moskauer Internationale vertreten hat, gibt sich heute als Retter der seit langem negierten leninistischen Orthodoxie.

Für die Mehrheit der heutigen »Kommunisten«, die Sozialismus und nationale Interessen in einen Topf werfen, ist diese Verkleidung nicht einmal ein Problem. Man bedauert nur – mit grösster Scheinheiligkeit – dass sie einen extremistischen (!) Charakter angenommen habe. Und im Geist des russischen Spiessbürgers ruft der chinesische »Extremismus« das Gespenst der »Gelben Gefahr« hervor, die man im Unterbewusstsein des verfaulten Westens als erledigt betrachtete. Selbst diese Gespenster sind aber degeneriert! Am Anfang des Jahrhunderts war die »gelbe Gefahr« Ausdruck der bürgerlichen Furcht, dass die Spekulation des westlichen Imperialismus auf den chinesischen Markt zusammenbräche. Wie es Lenin bereits gezeigt hatte, befürchtete der europäische Kapitalismus bei seinem Wettlauf nach Asien eine Revolution an der chinesischen Mauer ausbrechen zu sehen, die seine politische Macht selbst in Europa bedroht hätte. Seitdem China seine eigene Entwicklung in die Hand genommen hat, bedeutet die »gelbe Gefahr« nicht mehr Furcht vor der Revolution, sondern die unbestimmte Sorge um die noch entfernten Aussichten einer chinesischen Konkurrenz.

Wenn Moskau darin in gewisser Hinsicht seine Logik hat, erreicht die Verwirrung ihre Spitze in den Überresten des »Trotzkismus«. Die »Verité« (Oktober-Dezember 1964), Organ der »IV. Internationale« in Frankreich, stellt den chinesisch-russischen Konflikt als einen Kampf Pekings gegen den russischen Stalinismus dar und sieht in der chinesischen Nachkriegsgeschichte eine »permanente Revolution«, einen Prozess, der letzten Endes dem chinesischen Proletariat den ersten Platz zurückgeben wird (S. 23). Weil die KPCh 1949 die Volksrepublik gegen den Willen Stalins gründete, »kann man sie nicht länger als stalinistische Partei bezeichnen« (S. 22). Gewiss gibt es auch dort diese merkwürdige »bürokratische Schicht«, aber »die bürgerlich-demokratischen Aufgaben in China sind nur durch die proletarische Revolution gelöst worden, durch die Vernichtung des bürgerlichen Staates, durch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln« (S. 34). Ergo »muss man die durch die chinesische Revolution verwirklichten Errungenschaften nicht nur gegen alle Angriffe des Imperialismus, sondern auch gegen die offen konterrevolutionäre Politik der russischen Bürokratie verteidigen« (S. 49).

Diese »Verteidigung Chinas« ist wahrhaftig eine Karikatur der vorherigen »Verteidigung der Sowjetunion«. Selbst ihre Voraussetzungen sind absolut abwegig. Wer kann wirklich behaupten, dass in China eine »proletarische Revolution«, die »Vernichtung des bürgerlichen Staates« und die »Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln« stattgefunden habe? Was kann man selbst von dem Einfluss Pekings auf die bürgerlich-nationalen Bewegungen der Dritten Welt erwarten? Sicher, die Errichtung eines stabilen nationalen Staates erlaubt es China, in Asien die Rolle eines »Störenfriedes« zu spielen. Dadurch nimmt die chinesische Diplomatie schon heute die Ergebnisse der kapitalistischen Entwicklung vorweg, die aus China ein echtes Zentrum ökonomischer Anziehungskraft machen wird. Sie zeigt sich also immer mehr als bürgerliche Diplomatie und die Spekulation auf die antiimperialistischen Bewegungen nimmt schon die Form eines Feilschens mit dem Imperialismus an.[14]

Nachdem wir die politische Tradition des Maoismus bereits aufgezeigt haben, werden wir jetzt die sozialen und ökonomischen Grundzüge der Agrarreformen und der industriellen Entwicklung in China seit 1949 untersuchen.

Auf dem Weg zur Machteroberung

Mitten in der Revolution von 1924–27 setzte die Internationale von Moskau auf die chinesische Bourgeoisie, um damit in Wirklichkeit den Verrat an den Klasseninteressen des Proletariats zu verdecken. Damit wurde behauptet, dass die antikoloniale Bourgeoisie »radikaler« sei als die russische antizaristische (was teilweise stimmte), und dass sie in der Lage wäre, ihre eigene Revolution »bis zu Ende« durchzuführen. Durch das Joch des Imperialismus würde sie gezwungen, sich dem Proletariat anzunähern, allerdings müsse das Proletariat die bürgerliche Hegemonie während der ganzen »Etappe« der demokratischen Revolution anerkennen (was überhaupt nicht stimmte). Das Resultat dieser Taktik, die die Erfahrungen aller vorhergehenden Revolutionen missachtete, war, die KPCh der Repression Tschiang Kai-scheks auszuliefern.

Als die KPCh die Kuomintang-Fahne für sich beanspruchte, behauptete sie, deren Programm mit aller Energie und allem Radikalismus zu verwirklichen. Wird die nationale Bourgeoisie etwa »revolutionärer« wenn ihre klassischen Repräsentanten (die Sun Yat-sen und die Tschiang Kai-scheks) ersetzt werden durch ein anonymes Personal aus der Volksmasse: die Partei Maos? Wir werden sehen, dass es nicht der Fall ist. Die zahlreichen unerwarteten Wechselfälle des KPCh-Kuomintang-Bündnisses, die Ausflüchte vor der Agrarreform, die Kompromisse mit dem amerikanisch-russischen Imperialismus, die Illusionen der »friedlichen Koexistenz« reichen vollkommen aus, um den Anspruch des Maoismus auf einen konsequenten bürgerlichen Radikalismus zu entlarven.

Die chinesische Bourgeoisie hat sich genauso als brutaler Henker des Proletariats wie ihre Vorgänger gezeigt. Wie die deutsche Bourgeoisie unter Bismarck hat sie ihr Schicksal in die Hände reaktionärer Generäle von der Art Tschiang Kai-scheks gelegt, statt das Risiko einer Agrarreform einzugehen. Wie die russische Bourgeoisie unter Miljukow und Kerenski stürzte sich die chinesische Bourgeoisie in die Arme des Weltimperialismus, des japanischen, des amerikanischen, und dann des russischen.

Mit der ersten bürgerlichen Revolution, die die Mandschu-Dynastie absetzte, trat Sun Yat-sen, der Präsident der Republik geworden war, bald zugunsten Jüan Schi-kai, mit der Begründung ab, dass dieser fähiger sei, »das Land zu vereinigen und die Stabilität der Republik durch das Vertrauen, das er bei den ausländischen Mächten geniesst, zu garantieren«. Sun Yat-sen wird später in einem Brief an Tschitscherin eingestehen: »Mein Rücktritt war ein sehr grosser politischer Fehler; dessen Konsequenzen vergleichbar waren mit einer Ablösung Lenins durch Koltschak, Judenitsch oder Wrangel Diese Lektion jedoch reichte Stalin nicht, der nacheinander sein Vertrauen den Tschiang Kai-schek und Chang Tso-lin gab, statt den Proletariern von Shanghai.

Unter den Bedingungen des I. Weltkrieges versuchte die chinesische Bourgeoisie, die Unabhängigkeit für ein Butterbrot zu erringen. In diesem Sinne hat Sun Yat-sen Wilson ermutigt, in Europa einzugreifen. Das sollte helfen, Deutschland aus China zu verdrängen. Es war aber eine Hoffnung die sehr bald durch den Vertrag von Versailles enttäuscht wurde. Im Rahmen der imperialistischen Neuverteilung wurden die deutschen »Besitztümer« an Japan übergeben. Nach dem Bankrott der Politik, die sich auf eine imperialistische Macht stützt, um sich von der Herrschaft einer anderen zu lösen, klammerte sich die »nationale« Bourgeoisie an die sogenannte Politik der »offenen Tür«. Der von diesen Illusionen getragene Plan von Sun Yat-sen, China für den Handel und das Kapital aller Nationen zu öffnen, konnte zu Beginn sogar den Anschein geben, sich friedlich verwirklichen zu lassen. In Wirklichkeit führte diese Perspektive aber bald zu einer Verschärfung der imperialistischen Rivalitäten, zur Teilung des Landes in Einflusssphären und zur Rekrutierung von lokalen Söldnern im Dienst des ausländischen Kapitals.

Mitten in der inneren Anarchie und der territorialen Zersetzung öffnete sich eine neue Epoche des chinesischen Antiimperialismus, die der Allianz mit der Sowjetunion. Die Sowjetunion hatte die »ungleichen Verträge« des Zarismus aufgekündigt, glitt jedoch immer mehr in die Krallen der stalinistischen Konterrevolution hinein. Durch seine Vereinbarungen mit Moskau strebte Sun Yat-sen nicht nur die Kollaboration des drohenden Proletariats an (schliesslich waren es russische Militärberater, die die Banden von Tschiang Kai-schek so gut ausbildeten!); er hoffte auch, China vor dem Imperialismus, sowie vor den grossen politischen Krisen und sozialen Katastrophen zu schützen, deren revolutionäre Folgen für die chinesische Bourgeoisie tödlich gewesen wären. Dennoch konnte weder die Niederlage des chinesischen Proletariats, noch die Unterstützung Moskaus, noch die wiederholten Bündnisse mit der Partei von Mao die klassische chinesische Bourgeoisie retten. Ihre soziale Funktion besiegelte ihr historisches Schicksal. Sie lebte von der wucherischen Ausbeutung der Bauernschaft und war deshalb unfähig, die Bauernschaft zu bewaffnen, um das Land unter ihrer Führung zu vereinigen. Sie war eine Schaltstelle der imperialistischen Investitionen in China und war daher unfähig, sich dem Imperialismus zu widersetzen und das politische Instrument einer mächtigen kapitalistischen Akkumulation zu werden. Und so führte der II. Weltkrieg zu einem Ergebnis, das Moskau immer befürchtet und Mao niemals verfolgt hatte – er hat nicht nur eine grosse Anzahl Mandarine, sondern auch die klassischen Vertreter der chinesischen Bourgeoisie vom Kontinent weggefegt.

Die Partei von Mao Tse-tung hatte aber seit 1927 erkannt, dass der Aufstand der Bauernschaft notwendig war, um die nationale Vereinigung zu verwirklichen. So wurde sie schon damals zur »echten Kuomintang«, zum einzigen Bannerträger einer bürgerlichen Revolution. Trotzdem kommen auch bei ihr die gleichen Befürchtungen gegenüber den »Ausschreitungen« der Bauernschaft wie bei der Kuomintang zum Ausdruck. Eine Untersuchung der Pendelbewegungen der KPCh in der Agrarfrage bis 1945 kann der Leser in Teil I dieser Arbeit finden (»Bulletin« № 10) . Wir werden `gleichfalls sehen, dass die nach der Machteroberung durchgeführten Agrarreformen keineswegs die Höhe einer radikalen bürgerlichen »Agrarrevolution« erreichten.

Die KPCh lebte Jahre hindurch in der Hoffnung auf eine »Einheit« mit Tschiang Kai-schek. Sie hat gegenüber der japanischen Invasion an seinen »Patriotismus« appelliert. Diese Illusionen, die mit denen von Sun Yat-sen 1911 vergleichbar sind, haben die Geburt der Volksrepublik um ein Jahrzehnt verzögert; sie zeigen, wie weit die KPCh sich selbst negierte, wenn sich dazu die Gelegenheit bot. Am 22. September 1937 bot die KPCh Tschiang Kai-schek erneut ein nationales Bündnis an und veröffentlichte folgende Erklärung:

»Damit dem Feind [Japan] jeder Vorwand für eine Aggression entzogen wird und alle Missverständnisse zerstreut werden, gibt das ZK der KPCh folgendes bekannt:
1. Die drei Prinzipien des Volkes, die von Dr. Sun Yat-sen formuliert wurden, stellen die höchste Grundlage des heutigen China dar. Unsere Partei ist bereit, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um sie zu festigen.
2. Unsere Partei verzichtet auf die Politik zum Sturz der Kuomintang sowie auf die Weiterführung der Sowjetbewegung und stellt die Konfiszierung der Ländereien ein.
3. Unsere Partei schafft die heutige Sowjetregierung ab und verpflichtet sich, die Demokratie, die sich auf die Rechte des Volkes stützt, zu festigen, um den staatlichen Regierungsapparat zu vereinigen.
4. Unsere Partei erklärt die rote Armee für aufgelöst, reorganisiert sie in einer Nationalen Revolutionären Armee unter der direkten Kontrolle der Militärischen Kommission der nationalen Regierung und wartet auf die Befehle für die Mobilisierung, um ihre Verantwortung im Widerstand gegen die fremde Invasion zu übernehmen.«

Dieses neue Bündnis mit dem »reaktionären« Tschiang Kai-schek sollte aber nicht das letzte sein, denn am 28. August 1945 sitzen Mao und Tschiang wieder am gleichen Tisch – diesmal unter dem Vorsitz von General Marshall – um ein Übereinkommen in 12 Punkten über die zukünftige Regierung Chinas abzuschliessen:

»Was die grundlegende Politik des nationalen Wiederaufbaus angeht, wurde vereinbart, eine enge Zusammenarbeit unter Führung des Präsidenten Tschiang Kai-schek zu behalten. Es wurden Massnahmen getroffen, um innere Konflikte zu vermeiden, damit ein neues, unabhängiges, freies und prosperierendes China errichtet und die drei Prinzipien des Volkes verwirklicht werden können. Beide Parteien stimmten ausserdem darin überein, dass die politische Demokratisierung und Nationalisierung der Truppen, so wie sie von Präsident Tschiang Kai-schek vorgeschlagen wurde, eine absolute Notwendigkeit für den friedlichen nationalen Wiederaufbau darstellten…«

KPCh und Kuomintang sollten noch in Januar 1946 eine »beratende politische Konferenz« abhalten. Doch war das politisch verfallene Regime von Tschiang Kai-schek nicht mehr zu retten, weder durch General Marshall noch durch Marschall Stalin – dieser »empfahl« damals der KPCh, die Guerillas auf dem Lande zu begrenzen, ohne die Eroberung der Städte zu versuchen. Sicher wurden diese letzten Flickversuche der KPCh durch den russisch-amerikanischen Imperialismus aufgezwungen (siehe Yalta-Abkommen – 11. 2. 1945 – siehe das chinesisch-sowjetische Freundschafts- und Bündnisabkommen – 14. 8. 1945 – mit dem die UdSSR die Regierung Tschiang Kai-scheks als einzige nationale Regierung in China anerkannte). Dennoch lieferten das Zögern von Mao Tse-tung und die Politik der KPCh selbst, wie sie im Referat »Über die Koalitionsregierung« auf dem VII. Kongress vom April 1945 formuliert wurde, einen günstigen Boden für die imperialistischen Manöver des Duos MarshallStalin.

Stalin glaubte, in Yalta die Zukunft Chinas geregelt zu haben[15]. Doch wurde die Sache dadurch nicht erledigt, dass Roosevelt und Churchill die imperialistischen »Rechte«, die der Zar 1904 verloren hatte, anerkannten. Ebensowenig konnte sie dadurch erledigt werden, dass man die KPCh zum Bündnis mit Tschiang Kai-schek überredete. Die Zersetzung des Kuomintang-Regimes war schon so weit fortgeschritten, dass die einzig möglich »Koalitionsregierung« die Regierung der KPCh war. Einzig diese Partei war in der Lage: China vor einem Chaos zu retten. Die imperialistischen Staaten wurden sich dessen bald bewusst. Die UdSSR und Grossbritannien haben die Volksrepublik sofort anerkannt, und Frankreich hätte dasselbe getan, wäre nicht die Furcht um Indochina gewesen. Selbst in den USA – trotz der Verpflichtungen gegenüber Tschiang Kai-schek, des Koreakrieges, des Bruches des imperialistischen Bündnisses mit der UdSSR – war ein wichtiger Flügel der Bourgeoisie immer für eine »Wiederaufnahme der Beziehungen« zu China.

Die »Wiederaufbauperiode«: 1949–52

Eine Woche vor der japanischen Kapitulation besetzt die UdSSR die Mandschurei und errichtet eine »Koalitionsregierung«, deren Präsident Kao Kang ist. Dies und die sich immer mehr verschlechternde wirtschaftliche Situation im ganzen Lande lassen Mao keine andere Wahl als eine Offensive zu starten. In der Mandschurei führen die Sowjet-Soldaten eine wahrhafte Plünderung des enormen wirtschaftlichen Potentials (das von Japan installiert wurde) durch. Die Kohle-Produktion, die 1943 21,5 Mio. Tonnen betrug, geht 1945 auf 5 Mio. Tonnen zurück. Die Produktion der elektrischen Energie fällt um ein Viertel. 80 % der Lokomotiven Nord-Chinas werden entweder ausser Funktion gesetzt oder nach Russland transportiert. Gegenüber dieser Demontage der Industrieanlagen der wichtigsten wirtschaftlichen Bastien Chinas erklärte Li Lisan im Namen der KPCh:

»Ich bin der Meinung dass die Maschinendemontage kein wichtiges Problem verursacht. Selbstverständlich demontiert die UdSSR manche Maschine, jedoch sind dies gegenüber ihren grossen Kriegsverlusten nur kleine Mengen.«

Doch musste eine solche Demontage den »Wiederaufbau« Chinas – ob nun unter der Führung der Kuomintang oder der KPCh – ernsthaft gefährden. Gleichzeitig mussten in Südchina viele Betriebe wegen Ausfalls der Militäraufträge ihre Tore schliessen. Auf diese Weise schien die Partei Maos immer mehr die einzige zu sein, die die Mandschurei aus den Krallen Stalins retten und die notwendigen Opfer der Arbeiter für den »Wiederaufbau« erreichen konnte. Die hoffnungslose Situation Chinas zwischen 1945–49 wird also die KPCh dazu zwingen, die ganze Verantwortung zu übernehmen, von der Guerilla auf dem Lande zur Eroberung der Städte überzugehen und die Hoffnung auf eine »Koalitionsregierung« unter Führung von Tschiang Kai-schek endgültig aufzugeben.

Im März 1949 versammelte sich ein Plenum des Exekutiven Zentralkomitees (EZK) der KPCh, um die militärische Lage und die politischen Aufgaben am Vorabend des Sieges zu besprechen. Es wurde betont, dass »seit der Niederlage der grossen chinesischen Revolution von 1927 sich der Schwerpunkt des revolutionären Kampfes auf den Agrarsektor verlagerte.« Jetzt aber eröffnete sich eine neue Periode, wo »der Schwerpunkt der Parteitätigkeit in den Städten konzentriert werden soll«. Der Beschluss wies auf die Mittel hin, mit denen die Massen des städtischen Proletariats gewonnen werden sollten:

»Das Plenum ist der Ansicht, dass der Kernpunkt der Verwaltung und des Wiederaufbaus der Städte in der Wiederherstellung und Entwicklung der Industrieproduktion liegt: 1. der Produktion in den öffentlichen Betrieben, 2. jener der Privatbetriebe; 3. der Handwerksproduktion. Alle anderen städtischen Aufgaben wie der Regierungsaufbau, die Gewerkschaftsarbeit, die Tätigkeit der verschiedenen Volksorganisationen usw. sollten dieser zentralen Aufgabe dienen: der Wiederherstellung und Entwicklung der Industrieproduktion.«

Zum ersten Mal seit der Niederlage von Kanton erkannte die KPCh das Primat des Proletariats der Städte im revolutionären Kampf, doch weder um ihm den richtigen Weg zu seiner Diktatur zu zeigen noch um Vergeltung für die Kommune von Kanton zu üben. Die KPCh forderte das Proletariat lediglich dazu auf, sich vor den Karren der Produktion einspannen zu lassen, um ein »prosperierendes« China zu bauen und den »Block der vier Klassen« zu zementieren. Gleichzeitig rief Mao alle Parteigenossen auf, »die demütige, vorsichtige, bescheidene, ruhige und harte Arbeitsweise im Kampf zu behalten, damit nach der Niederlage der konterrevolutionären Kräfte mehr Anstrengungen für den Aufbau eines neuen Chinas geleistet werden können«. Wir werden hier nicht auf die bereits zitierten Texte über die »neue Demokratie« zurückgreifen[16]. Wir wollen hier lediglich zeigen, dass dieses Regime sich auf Kosten des Proletariats und seiner Klasseninteressen errichtete.

Während die politische »Einheit« von KPCh und Kuomintang zerbrach, erreichte Mao Tse-tung auf dem 6. Gesamtchinesischen Arbeiterkongress von Harbin (August 1948) die Wiedervereinigung der Gewerkschaften, eine unerlässliche Bedingung, um das Wesen der Klassenkollaboration zwischen Kapital und Arbeit sicherzustellen. So erreichte man eine Verschmelzung des »Gewerkschaftsbundes der befreiten Gebiete«, dessen Führung bei der KPCh lag, und des »Chinesischen Vereins der Arbeit«, der von einer Spaltung der Kuomintang geführt wurde. Nach der Gründung dieses »Gesamtchinesischen Arbeiterbundes« empfahl der Kongress von Harbin, in den von der Kuomintang kontrollierten Gebieten zwischen »kapitalistischen Trusts« und »nationalen Kapitalisten« zu unterscheiden. Last but not least erklärte der Kongress in Bezug auf die befreiten Gebiete:

»Die Widersprüche zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind in den Privatbetrieben immer vorhanden. Da sie jedoch politisch die Führungsstelle innehaben, sind die Arbeiter gegen jede übertriebene Unterdrückung und Ausbeutung geschützt. Ausserdem stellen Existenz und Entwicklung privater produktiver Betriebe einen Vorteil für die Arbeiter dar. Aufgrund der neuen Bedingungen in den befreiten Gebieten muss die gewerkschaftliche Bewegung sich von einer neuen Politik und von ganz neuen Prinzipien leiten lassen. […] Als Mitglieder der politisch herrschenden Klasse müssen die Arbeiter ihre Verantwortung tragen, um die Industrie zu entwickeln und um ihre Aufgaben in der Produktion durchzuführen und zu überschreiten. In der Privatindustrie haben die Arbeiter auch die Aufgabe, die Durchführung des von den Arbeitgebern aufgestellten Produktionsprogramms zu sichern, sich an die Verträge mit den Arbeitgebern zu halten und die Politik der Regierung durchzuführen, deren Ziel der Schutz des privaten Handels und der Privatindustrie ist […]«

Gegenüber den Schwierigkeiten der ökonomischen Lage (Inflation, Desorganisierung des Marktes, Betriebsschliessungen) beschloss die Regierung eine Reihe von Massnahmen, damit die »nationalen« Kapitalisten wieder Vertrauen gewännen, und um die unmittelbaren Forderungen der Arbeiter zum Schweigen zu bringen. Staatliche Handelsbetriebe wurden geschaffen, um die Fabriken mit Rohstoffen zu versorgen und die Inflation in den Städten zu bekämpfen. Gleichzeitig jedoch ordnete die Regierung die Erhöhung der Einzelhandelspreise dieser Betriebe an um dem Kleinhandel eine Lebenschance zu gehen. In einem Bericht von Pan Hannian, Vizebürgermeister von Shanghai seit 1950, liest man:

»Die staatlichen Handelsbetriebe schränken die Zahl ihrer Einzelhandelsverkaufsstellen ein, begrenzen ihr Einzelhandelssortiment und erhöhen die Differenz zwischen Gross- und Einzelhandelspreisen (diese Differenz steigt bei Reis von 2 auf 5 %, Bei Erdnussöl von 2,5 auf 6,5 % bei Salz von 2 auf 6 % und bei Zucker von 12 auf 15 %), damit den Einzelhändlern die Möglichkeit gegeben wird, einen ausreichenden Gewinn zu erzielen. Das beweist, dass die staatlichen Betriebe den Kampf gegen Spekulation und Hamstertum mit der Sicherung von angemessenen Gewinnen für die Privatbetriebe verbinden wollen, damit diese in voller Ruhe und Ehrlichkeit arbeiten können« (3. Volkskongress von Shanghai).

Demselben Bericht entnehmen wir sehr aufschlussreiche Anhaltspunkte über die »Arbeiterpolitik« der neuen Regierung. In Shanghai ist es einem »Arbeitsamt« gelungen, den Arbeitern Lohnsenkungen, Entlassungen ohne Entschädigung und Kurzarbeit, soweit der Betrieb die Notwendigkeit dieser Massnahmen nachweisen kann, aufzubürden:

»Seit der Befreiung von Shanghai bis Ende Mai 1950 erfasste das Arbeitsamt 9027 Konfliktfälle zwischen Kapital und Arbeit. 4436 Fälle sind während der ersten 7 Monate des Jahres 1949, die übrigen Fälle während der ersten 5 Monate desselben Jahres registriert worden. Das Problem war sehr ernst. Jedoch nach der Veröffentlichung der Beschlüsse der Konferenz der Direktoren der Arbeitsämter, die von der Zentralen Regierung einberufen wurde, haben sich die Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit erheblich gebessert.«

Und wie?

»Die Arbeiter haben die Belastungen ihrer Arbeitgeber durch folgende Methoden gesenkt: Senkung der Löhne und des Lebensmittelverbrauchs, Anwendung eines Austerity-Plans, zeitweilige oder teilweise Entlassungen der Belegschaft Anwendung eines Systems der Schichtarbeit. Sie bemühen sich gleichzeitig, die Produktion zu erhöhen und die Endkosten zu senken: dafür werden die Arbeitszeiten verlängert, die Anstrengungen verdoppelt und die Rohstoffe eingespart«. (Ebenda)

Dieses Bild der »Arbeiterpolitik« der maoistischen Partei in den Städten wäre jedoch unvollständig, machte man nicht einige Bemerkungen über den Betrug der »Arbeiterkontrolle«. In seinem Bericht über den ökonomischen Wiederaufbau vor dem 1. Kongress der nordöstlichen KPCh (13. März 1950) Behandelte Kao Kang diese Frage, »da es zwischen dem Komitee unserer Partei und den Gewerkschaften Meinungsverschiedenheiten über die Kontrolle der Betriebe gibt«. Der Bericht geht auf zwei Streitpunkte ein, die »Demokratisierung der Betriebsführung« und die »Rechnungskontrolle« in den Betrieben. Die Demokratisierung sagt Kao Kang, darf das Prinzip der Verantwortung der Betriebsleiter nicht in Frage stellen:

»Manche Genossen glauben, dass in einem Betrieb der Komiteesekretär oder eine Zweigniederlassung der Kommunistischen Partei die Verantwortung der Werksleiter übernehmen kann. Diese Meinung ist falsch. Das Parteikomitee oder der Parteizweig sind in der Tat kein Verwaltungsorgan eines Betriebes. Ihre Aufgabe liegt darin, die fortschrittlichen Arbeiter ihrer Betriebe zu führen […] Die Werksleiter übernehmen ihre Verantwortung aufgrund einer Bestätigung seitens einer höheren Regierungsbehörde. Jeder Betrieb muss einen verantwortlichen Werksleiter haben, Das ist für die Vereinheitlichung des staatlichen Wirtschaftsprogramms notwendig«.[17]

Diese »Verantwortung«, die der »Volksstaat« den Kapitalisten zuerkannte und die die Arbeiter nach Staatswunsch respektieren sollten, wurzelt in der Natur der bürgerlichen Wirtschaft. Nicht zufällig hebt Kao Kang, dieser Vorläufer Chruschtschows und Kossygins, Rentabilität une Profit hervor:

»Wie jedermann weiss« – fährt er fort – »herrschte jahrelang das System des Kung Chia Chih[18] [sehr niedrige Entlohnung bei staatlicher Zuteilung von Nahrung Wohnung und Kleidung] […] Doch jetzt hat sich die Lage erheblich geändert. Wenn wir unsere Volkswirtschaft und insbesondere unsere modernen Betriebe ohne eine Kalkulation unserer Einnahmen und Ausgaben führen, wenn wir ein System der Lohnanpassung an die Leistung der Einzelnen nicht einführen m. a. W. wenn wir ein genaues Buchführungssystem und eine genaue Berechnung unserer Produktionskosten nicht einführen – können wir weder den gegenwärtigen Stand unserer Betriebe kennen noch ihre Zukunft vorhersehen«.

Zur damaligen Zeit ereiferten sich verschiedene »Theoretiker«, den Übergang vom Kung Chia Chih zur »Rechnungskontrolle« mit der russischen Wende von 1921 zu vergleichen: vom »Kriegskommunismus« zur NEP. Diese Irreführung ist wohl nur mit den Ausführungen der Liberman & Co. zu vergleichen, die die NEP mit ihrem Geschwätz über den »sozialistischen Aufbau« durch Betriebsautonomie und Profitwirtschaft in einen Topf werfen. Lenin ist kein Vorläufer von Kao Kang oder Kossygin. Die NEP war ein Kompromiss, der die Schwäche des russischen Kapitalismus von 1921 in marxistischem Sinne widerspiegelte. Der Siegeszug der freien Marktwirtschaft im heutigen Russland drückt ganz einfach die Stärke der bürgerlichen Verhältnisse aus. Was China anbelangt, so wurde Kao Kang als Sündenbock einer falschen NEP zwar 1953 verdammt und man pries den »Übergang zum Sozialismus« hoch. Die Rückkehr zum System Kung Chia Chih in der Phase der Volkskommunen – chinesische Umschreibung des alten Truck-Systems – zeigte aber mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass China keineswegs über den Grosskapitalismus und die Betriebsautonomie hinausgegangen war – im Gegenteil: es hat sie noch nicht einmal erreicht.

Wie dem auch sei, das wesentliche an der Leninschen NEP war die Frage der politischen Macht, der Erhaltung der Diktatur des Proletariats. Das Wesentliche an allen Massnahmen der »Arbeiterkontrolle« zu denen die kleinbürgerlichen Demokraten und Pseudosozialisten greifen, liegt im Gegenteil darin, diese Frage der Macht zu verschleiern, die Arbeiter vom Klassenkampf abzulenken. In einer Wirtschaftslage, die jener von 1917 in Russland ähnelte, spielte die KPCh nach dem zweiten Weltkrieg in China dieselbe Rolle wie die Menschewiki und Volkstümler gegenüber der »Arbeiterkontrolle«[19]. Diese Rolle hatte Lenin zwischen Februar und Oktober, nicht zuletzt in »Die drohende Katastrophe und wie man Sie bekämpfen soll«, entlarvt. In einem Artikel über die Konferenz der Betriebskommitees vom 17. Juni 1917 betonte Lenin diesen Unterschied in der Haltung zur Frage der Arbeiterkontrolle:

»Der Grundgedanke dieser Resolution [die Resolution der Konferenz, die von den Bolschewiki inspiriert wurde – IKP] ist der, dass sie den bürgerlichen, spiesserhaft-bürokratischen Phrasen von Kontrolle die Bedingungen zur Schaffung der wirklichen Kontrolle über die Kapitalisten und die Produktion entgegenstellt. Die Bourgeoisie lügt, wenn sie staatlich geplante Massnahmen zur Sicherung der dreifachen, wenn nicht gar zehnfachen Profite der Kapitalisten als ›Kontrolle‹ ausgibt. Das Kleinbürgertum vertraut halb naiv und halb aus Eigennutz den Kapitalisten und dem kapitalistischen Staat und gibt sich mit nutzloser, bürokratischer Projektemacherei über Kontrolle zufrieden. Die von den Arbeitern angenommene Resolution stellt das Wichtigste in den Vordergrund: was man tun muss, damit 1. die Profite der Kapitalisten wirklich ›nicht unangetastet‹ bleiben; damit 2. vom Geschäftsgeheimnis der Schleier gerissen wird; damit 3. die Arbeiter in den Kontrollinstitutionen die Mehrheit erhalten; damit 4. die Organisation (der Kontrolle und Leitung) als Organisation ›im Massstab des ganzen Landes‹ von den Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten geleitet wird, nicht aber von den Kapitalisten(LW, Bd. 25, S. 31)

Im selben Artikel verwarf Lenin die »syndikalistische« Interpretation der bolschewistischen Kontrolle, deren politische Bedeutung er erklärt:

»Nicht der kleinste Hinweis auf solche Lächerlichkeiten wie der Übergang der Eisenbahnen in die Hände der Eisenbahner oder der Lederfabriken in die Hände der Lederarbeiter ist bei uns zu finden, wohl aber die Kontrolle der Arbeiter, die dazu führt, dass die Arbeiter die Regulierung der Produktion und der Verteilung vollständig übernehmen, dass eine ›gesamtstaatliche Organisation‹ für den Austausch von Getreide gegen Gebrauchsgüter usw. geschaffen wird (bei ›weitgehender Heranziehung der städtischen und ländlichen Genossenschaften‹), wohl aber die Forderung ›Übergang der gesamten Staatsmacht in die Hände der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten‹« (LW, Bd. 25, S. 32)[20]

In China wurde das Proletariat eben in einem Verwaltungsdemokratismus gefangen gehalten, in vollem Respekt vor der Autorität des Betriebsleiters, der von einer »oberen Regierungsbehörde« bestätigt wurde. Und diese Regierung half offen den Kapitalisten und sicherte ihren »angemessenen Gewinn«. So machte die Partei Mao Tse-tungs aus der betrügerischen »Selbstverwaltung« ein Instrument der Kontrolle des Proletariats durch das Kapital – viel früher als Tito und Ben Bella, doch getreu der traditionellen Linie der »ateliers nationaux« (staatliche Betriebe) von 1848 und der menschewistischen Politik von 1917. So vollzog sich in China die Verbindung der Bauernguerilla mit der sozialen Bewegung der Städte. Die historischen Erfahrungen der Kuomintang hatten schon bestätigt, dass ohne eine Massenerhebung der Bauernschaft alle Anstrengungen zur nationalen Vereinigung vergeblich waren. Die bewaffneten Kämpfe auf dem Lande zwischen 1937–47 zeigten ihrerseits, dass die »Eroberung der Städte« die politische Zentralisierung und Führung der Gesamtbewegung durch Städte wie Shanghai und Kanton, eine ebenso unerlässliche Bedingung der Revolution war. Tatsächlich sollte sich das Schicksal der chinesischen Revolution in diesen proletarischen Festungen, die die Kuomintang nicht mehr unter Kontrolle halten konnte, abspielen. Jedoch zielte keine einzige Massnahme, kein einziger Satz der Gründer der »Neuen Demokratie« auf die Öffnung des Weges zur Diktatur des Proletariats.

Die Agrarreform: 1947–52

Wir haben gesehen, wie die wirtschaftliche und soziale Krise der Nachkriegszeit und die Drohung einer neuen imperialistischen Teilung Chinas aus der KPCh den unbestrittenen Meister des bürgerlichen Chinas machten. Wenn sich Mao Tse-tung dazu entschlossen hat, die Macht zu erobern, so geschah dies nicht, um den Klassenzusammenstössen (vor allem in den Städten) einen gesteigerten revolutionären Ausdruck zu geben, und auch nicht um dem russisch-amerikanischen Imperialismus – wie er es heute vorgibt – ernste Schläge zu versetzen. Es ging lediglich darum, durch annehmbare internationale Verträge (wie den Vertrag zwischen Mao und Stalin, der das Ende der russischen Herrschaft über die Mandschurei brachte) und durch die Schaffung eines nationalen Staates auf der Grundlage der Arbeit und des Sparens der chinesischen Bauern (statt der traditionellen Basis der ausländischen Finanzierung) die Folgen der Krise einzuschränken. In dieser Hinsicht lässt der 1. Paragraph des Agrargesetzes vom 28. Juni 1950 keinen Zweifel:

»Das Regime des bäuerlichen Landbesitzes wird errichtet, um die Produktivkräfte auf dem Lande zu befreien, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und den Weg der Industrialisierung des Neuen Chinas zu bahnen.«

Ein bürgerliches Programm, das mit bürgerlichen Mitteln realisiert wird. Und keine folgende »Etappe« hat zu irgendeiner »sozialistischen« Wende geführt. Seine Merkmale beweisen gerade das Gegenteil von der Legende, dass die chinesische Agrarrevolution die »radikalste« aller Zeiten gewesen sei. Wir werden sehen, welchen entscheidenden Einfluss die Städte auf die bäuerliche Bewegung gehabt haben: Ohne eine feste proletarische Führung mündete die grossartige Agrarrevolution in dürftige Reformen.

Man wird sich daran erinnern, dass die KPCh seit dem Anfang des chinesisch-japanischen Krieges von der Politik der Landenteignung zur Politik der Senkung des Pachtzinses übergegangen war. Nach dem Krieg kehrte die KPCh zur Politik der Enteignung zurück. Die Massenbewegung zwang sie dazu. Zunächst wurde diese Politik seit Mai 1946 in den »Grenzgebieten« durchgeführt, sie hat sich später jedoch schnell südwärts verbreitet. Am 10. Oktober 1947 veröffentlichte die Partei auf der Konferenz von Yenan ein Agrargesetz in 16 Artikeln, das in etwa den Inhalt des Gesetzes von 1931 wiedergab. Mao Tse-tung begnügte sich damit, die alten Texte von alledem zu säubern, was er in der vorhergehenden Periode für extremistisch erklärt hatte. Vor allem wurde das Prinzip der gleichen Verteilung kritisiert:

»Die die absolute und sofortige Gleichheit predigen« sagte Mao im Sommer 1948 in einem Bericht an die Verantwortlichen von Shansi, »begehen einen Fehler. Diese heute auf dem Lande verbreitete Auffassung stört die Industrie und den Handel; sie ist reaktionär und rückständig…«

Die Landverteilung musste die jeweils zur Verfügung stehenden Produktionsmittel berücksichtigen. So wurde der Mittelbauer, der imstande war, für den Markt zu produzieren, gegenüber der Kleinbauern begünstigt. Bei der Verkündung des Gesetzes von 1950 über die Agrarreform erklärte Liu Schao-Tschi unmissverständlich:

»Erst durch eine grosse Verbesserung der Produktion, durch eine gute Industrialisierung des neuen China, durch eine Erhöhung des Lebensstandards in ganz China und nachdem China schliesslich den Weg der sozialistischen Entwicklung eingeschlagen hat, wird sich das Problem der Bauernarmut wirklich lösen. Die Durchführung der Agrarreform kann das Problem der Bauernarmut nur zum Teil lösen. Sie muss im wesentlichen und vor allem eine Erhöhung der Produktion als Ziel haben.«

Unsere »Kommunisten« lassen hier handfeste bürgerliche »Wahrheiten« vom Stapel! Sie gehen aber immer nach der Art der Reformisten vor, die sich auf die »ökonomischen Imperative« berufen, um die Massen vom sozialen Kampf abzulenken. In Stadt und Land wird alles unter dem Blickwinkel der Produktion, oder besser des »Wiederaufbaus« betrachtet. Ziel des »Agrargesetzes« ist es nicht, die revolutionäre Energie der armen Bauern zu entfesseln, sie dem modernen Proletariat anzunähern und ihre politische Erziehung zu begünstigen. Die Bauern sollten bloss verstehen, dass die Bereicherung der Kulaken dem Staat mehr einbringt.

Zwischen dem Programm vom 10. Oktober 1947 und dem Agrargesetz von 1950 kann man Unterschiede feststellen, die alle in Richtung auf die Unterdrückung der »Überschreibungen« der Bauern laufen. So verkündete der erste Text die Abschaffung der Rechte der Grundbesitzer (Art. 2). Im zweiten Text ist nur von der Beschlagnahme ihres überschüssigen Bodens die Rede (Art. 2). Man erklärt auch, dass ihr Industrie- und Handelseigentum nicht angetastet wird (Art. 4), und das sie gleich den anderen Bauern ein Stück Land bekommen werden (Art. 10). Das Programm von 1947 machte zwar einen Unterschied zwischen Grundbesitzern und reichen Bauern, schloss aber eine Beschlagnahme des überschüssigen Bodens der reichen Bauern nicht aus. Das Gesetz von 1950 verbot sie. Die drei Texte vom Mai 1946, Oktober 1947 und Juni 1950 bilden Grundsteine in dem Kampf der KPCh, um den Umfang der Agrarbewegung einzuschränken. Im Juni 1950 legte Liu Schao-Tschi selber die Bilanz dieses Kampfes vor:

»Zwischen Juli 1946 und Oktober 1947 ist es den bäuerlichen Massen und unseren Dorfkadern in vielen Gebieten des Nordens, Nordwestens und Schantungs bei der Durchführung der Agrarreform nicht gelungen, den Richtlinien des ZK der KPCh vom 4. Mai 1946 zu folgen. Diese Richtlinien bestimmten im wesentlichen, dass Boden und Besitz der reichen Bauern nicht anzutasten waren. Sie haben Boden und Besitz der reichen Bauern wie der Grundbesitzer willkürlich beschlagnahmt. Das ist verständlich, denn es handelte sich um Zeiten eines grimmigen Kampfes zwischen dem chinesischen Volk und den Kuomintang-Reaktionären. Damals gab es die meisten Abweichungen in der Durchführung der Agrarreform: die Interessen eines Teils der Mittelbauern wurden frustriert, Industrie und Handel wurden in den ländlichen Gebieten desorganisiert, in gewissen Orten gab es sogar Schlägereien und Totschläge. Diese Tatsachen erklären sich vor allem durch die Spannung der damaligen politischen und militärischen Lage, sowie durch den Mangel an Erfahrung der Mehrheit unserer Landkader in Sachen Agrarreform. Sie waren nicht in der Lage, die Klassenlage auf dem Lande klar zu erkennen und begingen den Fehler, die Mittelbauern als reiche Bauern einzustufen. Deshalb hat das Zentralkomitee am 10. Oktober 1947 das Gesetzesprogramm über die Agrarreform, wo eine Trennungslinie gezeichnet wird […] und im Winter 1947 ein Dokument über die Unterscheidung zwischen den Klassen in den ländlichen Gebieten veröffentlicht«. (zitiert aus R. Dumont, »Esprit«, Januar 1956).

Dies waren die Merkmale der »grossen Verteilung« im Nachkriegs-China: Unterdrückung der »Überschreitungen« der Agrarrevolution, Verteidigung des mittleren Bauern im Namen des ökonomischen Wiederaufbaus. Wie in den 30er Jahren trug die Agrarpolitik der KPCh dazu bei, die spannungsgeladene Atmosphäre des chinesischen Dorfes zu entschärfen: der landlose Bauer erhielt die Illusion des Eigentums und des Wohlstands. Die offizielle chinesische Statistik konnte bald den Rückgang der Zahl der armen Bauern und die spektakuläre Zunahme der Schicht der mittleren Bauern rühmen. So verschwommen diese Kategorien auch sind, sie zeigen klar den Geist der Agrarreform von 1947–52:

Landbesitz vor und nach der Verteilung:
1947 1955
arme Bauern und Tagelöhner 70 % arme Bauern 20 %
alte mittlere Bauern 20 %
mittlere Bauern 20 % neue mittlere Bauern 50 %
reiche Bauern 5–6 % alte reiche Bauern 4,5 %
Grundbesitzer 4–5 % neue reiche Bauern 2 %
Grundbesitzer 3,5 %

Diese sozialen Grenzen der Agrarreform werden durch räumliche und zeitliche Schranken ergänzt. Räumlich, weil die Reform nur nach und nach, ausgehend von Nordosten (1947–49), durch geführt wurde; 1950 verbreitete sie sich in Hebei und Chen-si, 1951 im Süden, um schliesslich den Westen zu erreichen, wo einige Gebiete, wie Tibet, von ihr nicht betroffen wurden. Zeitlich, weil der Staat 6 Jahre brauchte, um die Enteignungen und Verteilungen »von oben« und »methodisch« zu organisieren. Die »grossartigste Landverteilung unserer Geschichte« nahm bald den Charakter einer administrativen Massnahme im Sinne der öffentlichen Ordnung an.

Welches waren die wirtschaftlichen Ergebnisse der Verteilung? Ca. 43 % des bebauten Landes (ca. 50 Mio. Hektar) wurde unter 300 Millionen Bauern verteilt, was etwas mehr als 15 Ar pro Kopf darstellt. R. Dumont bemerkt, dass von den 50. Mio. Zugtieren, über die China in der Nachkriegszeit verfügte, nur 3 Mio. verteilt wurden. Mangels Lebensmitteln und auch mangels Boden konnte der arme Bauer sein Lebensniveau nicht verbessern. Liu Schao-Tschi musste auf dem VIII. Kongress der KPCh gestehen:

»Auf dem Lande gibt es wenig Boden und viel Menschen. Im Landesdurchschnitt besitzt der einzelne Bauer nur 3 Mu (⅕. ha). In vielen Gegenden des Südens verfügt er nur über 1 Mu und sogar weniger. Die armen Bauern und die unteren Schichten der mittleren Bauern bilden also noch 60 bis 70 % der Bevölkerung«.

Diese Schwierigkeiten zwangen zur zweiten Welle von Agrarmassnahmen, zur Kollektivierung. In der Tat hatte die Verteilung auch auf dem Gebiet der Produktionssteigerung – erklärtes Ziel der chinesischen Führung – in eine Sackgasse geführt. Die absoluten Produktionszahlen der Vorkriegszeit wurden zwar erreicht: gegenüber 140 Mio. Tonnen vor 1949 erntete man 1949 = 103,1; 1950 = 125,7; 1951 = 135; 1952 = 154,4 und 1953 = 156,9 – und dies erlaubte in der Tat den »Wiederaufbau« der sehr rückständigen chinesischen Wirtschaft. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Vorkriegsproduktion pro Kopf übertroffen worden ist. Vor allem das städtische Industrieproletariat musste die Kosten der Reform tragen. Ein grosser Teil der Agrarproduktion wurde von kleinen Familienbetrieben bestritten, so dass die Städte schlecht versorgt blieben. Am Vorabend der Kollektivierung konnte man in der »Volkszeitung« lesen:

»Infolge der Agrarreform, aufgrund der Zerstückelung der Betriebe und der darauffolgenden Entwicklung einer sich selbst genügenden Kleinbauernwirtschaft kann die Menge der Lebensmittel, die auf den Markt kommen, zurückgehen was die Versorgung der Städte beeinflussen würde« (11. 4. 1953).

Alle diese Widersprüche sollten ausbrechen, als man von der Periode des Wiederaufbaus zum ersten Fünfjahresplan überging. Man musste dann feststellen, dass die Verteilung die soziale Frage auf dem Lande nicht gelöst hatte und dass sie darüberhinaus keine Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte des chinesischen Kapitalismus lieferte.

Die »Kollektivierung«: 1953–58

In seiner Rede vom 31. Juli 1955 über die Frage der landwirtschaftlichen Genossenschaften erklärte Mao:

»Jeder konnte sehen, in den letzten Jahren sind die spontanen Kräfte des Kapitalismus auf dem Lande ständig gewachsen, überall sind neue Grossbauern auf den Plan getreten und viele wohlhabenden Mittelbauern streben danach, Grossbauern zu werden. Viele arme Bauern leiden hingegen aus Mangel an Produktionsmitteln nach wie vor Not, manche sind in Schulden verstrickt, andere verkaufen ihren Boden oder verpachten ihn. Wenn man die Dinge so weiter treiben lässt, werden die Polarisierungserscheinungen im Dorf unvermeidlich von Tag zu Tag ernster werden.« (»Zur Frage des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Landwirtschaft«, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1969, S. 44)

Dieser Zuspitzung des Klassenkampfes auf dem Lande vorzubeugen und gleichzeitig die landwirtschaftliche Produktion durch eine höhere Konzentration der menschlichen und materiellen Mittel zu erhöhen – dies waren die Ziele der chinesischen Kollektivierung, die sie mit der russischen Kollektivierung der 1930er-Jahre gemeinsam hatte. Beide haben noch einen gemeinsamen Zug: sie wurden im Gegensatz zur Legende keineswegs »geplant«, sondern den »Planern« mit der ganzen Kraft ökonomischer Antagonismen aufgezwungen.

Ursprünglich waren die Kollektivierungsprojekte sehr gemässigt und das vorgesehene Durchführungstempo sehr langsam. Der ZK-Beschluss vom Oktober 1953 sah vor, dass die Anzahl der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die damals 15 000 betrug, bis zum Herbst 1954 auf 35 800 steigen sollte. Der erste Fünfjahresplan fixierte seinerseits das Ziel von 300 000 Genossenschaften für 1957, d. h., dass sie bis dahin 20 % der Bauernhöfe erfassen sollten. Wenn man andererseits die Verallgemeinerung der Genossenschaften in Nordchina und in der Mandschurei berücksichtigt, müsste die Entwicklung südlich vom Yangtse ziemlich bescheidener vor sich gehen. Diese Ziele wurden bald übertroffen: im März 1954 zählte man bereits über 90 000 Genossenschaften. Im Oktober 1954 beschloss dann das ZK ein neues Ziel für den Frühling 1955: 600 000. Auch dieses Ziel wurde übertroffen. Dieser Erfolg erschreckte sogar die Verantwortlichen. Auf dem nationalen Volkskongress vom Juli 1955 revidierte Li Fuchun das Ziel von 50 % der Bauernhöfe, die bis Ende 1957 kollektiviert werden sollten, nach unten auf 33 %. Im selben Monat verkündete Mao Tse-tung in seinem Bericht über die Genossenschaften eine neue Beschleunigung des Kollektivierungsprozesses: Bis zum Frühjahr 1958 müsste die Hälfte der Landbevölkerung den Genossenschaften beigetreten sein; die Vollendung der Kollektivierung wurde für 1960 angesetzt. In seinem Vorwort von 1956 zu »Der Drang zum Sozialismus in den Agrargebieten Chinas« schrieb Mao:

»In den drei oder vier kommenden Jahren […] wird sich der Übergang der Genossenschaften von der halbsozialistischen Etappe zur vollsozialistischen Etappe abspielen«.

Jedoch ging alles schneller vor sich, als man dachte: Ende 1956 verkündete man, dass 96,1 % der Bauernhöfe und 90 % des bebauten Landes von »halbsozialistischen Genossenschaften« erfasst seien; 1958 wäre die Bewegung der Kommunen imstande, zur »vollständig sozialistischen Etappe« überzugehen.

So die offizielle Geschichtsschreibung mit dem Ruhmeslied des triumphalen Fortschreitens der Kollektivierung, das vergoldete »Weissbücher« über die Siege der Regierung schreiben, angefüllt mit dem begeisterten Applaus für die »Massenlinie« und dem wahren Sturm und Drang des chinesischen »Sozialismus«: Die ökonomische und soziale Geschichte der Kollektivierung ist noch zu schreiben. Die »gelehrtesten« Untersuchungen beschränken sich darauf, die erstaunlichen Sprünge – nach vorn und nach hinten – der offiziellen Ideologie und der Agrarreform festzustellen. Die Verteilung von 1950 war in der Sicht der Pekinger Führung zwar nur eine Etappe, allerdings sollte sie ursprünglich viel länger dauern, als es der Fall wurde.

Noch 1953 hat Mao erklärt: »Nach der Befreiung war die Freude der Bauern, endlich selbstständig und individuell wirtschaften zu dürfen, unvermeidlich. Die Partei kennt den charakteristischen Hang der Bauern, Eigentümer sein zu wollen, und hat Verständnis dafür. Sie betont, dass man die Vorliebe der Bauern für jene Wirtschaftsform weder missverstehen noch dämpfen darf«. Diese Erklärung aus dem Jahr 1953 schliesst mit den folgenden Worten: »[…] eine beträchtliche Weile […] muss das Privateigentum an Grund und Boden gewahrt bleiben«.

G. Etienne, dessen »Chinas Weg zum Kommunismus« (S. 82) wir dieses Zitat entnehmen, ist von der brutalen Wende zur Kollektivierung überrascht:

»Mehrfach und in verschiedenen Gebieten wenden die Behörden die gleiche Methode an: ein jäher Anstoss treibt einen relativ langsamen Entwicklungsgang unerwartet sprunghaft vor. Möglicherweise waren die Machthaber selbst am meisten über die blitzschnelle Entwicklung der Kolchosen erstaunt. Dieses System – der Wechsel zwischen Ebbe und Springflut – ist eine der verblüffendsten Tatsachen, die sich bei der Analyse Chinas ergibt.«

Die tiefen ökonomischen und sozialen Erschütterungen, die die Entstehung des chinesischen Kapitalismus kennzeichnen, dazu die Erschütterungen, die das Greisenalter des Weltkapitalismus charakterisieren – das ist es, was die bürgerlichen Philister »verblüfft«. Und die einzige sichere Erklärung, die sie für diese Erscheinungen finden können, ist der Wille der »grossen Männer« der Geschichte – Stalin, Mao und sogar Hitler –, welche alle angeben, die Umstürze gewollt und herbeigeführt zu haben. Hat Hitler den Krieg nicht »gewollt«? Hat Stalin die berühmte »Entkulakisierung« von 1929–32 nicht »gewollt«? Hat Mao die Genossenschaftsbewegung und dann die Volkskommunen nicht »lanciert«, wie man eine neue Seifenmarke lanciert oder ein Schiff vom Stapel lässt? Tja, um irgendetwas von der chinesischen Kollektivierung zu begreifen, muss man die voluntaristische Geschichtsauffassung und die »sozialistische« Reklame, die von ihr genährt wird, beiseite schieben. Mao Tse-tung hat ebensowenig wie Stalin den Gang der Kollektivierung vorausgesehen.

Wie wir gesehen haben, war das wesentliche Ziel der Reform von 1950 die Befreiung der bürgerlichen Produktivkräfte. Aus verschiedenen Gründen musste dieser Prozess langsam und widersprüchlich ablaufen. Die Enge der individuellen Parzellen, die Bescheidenheit der Produktionsmittel, bildeten bereits ein ernstes Hindernis. Man rechnete aber mit der »Begeisterung« des besitzenden Bauern, der nunmehr von der enormen Abgabe einer Natural- oder Grundrente an den Dorfwucherer befreit war. Diese Abschaffung des Pachtzinses ist ohne Zweifel der grösste Vorteil, den die chinesische Bauernschaft aus der Agrarreform zog. Und dennoch ging dieser Vorteil für den Staat und die Bauernschaft bald im Ozean der Mikroproduktion verloren. Die Freisetzung der bürgerlichen Produktivkräfte auf dem Lande wurde von Anfang an durch den kleinbürgerlichen Charakter der Produktionsverhältnisse gebremst. Man schätzte. z. B., dass die chinesische Bauernschaft durch die Abschaffung des Pachtzinses ca. 30 Mio. Tonnen Getreide jährlich mehr zur Verfügung haben würde. Würde sie aber diesen Überschuss auf den Markt bringen, um somit zwischen Stadt und Land die Bedingungen einer bürgerlichen Entwicklung herzustellen? Es handelte sich offensichtlich um die Perspektive einer »normalen« und langsamen Entwicklung des Agrarkapitalismus, der die Aufgabe der »Kollektivierung« der chinesischen Landwirtschaft von sich aus, durch einfache Expropriierung bewältigen sollte. Wenn die Kornkammern des Staates voll gewesen wären, hätte Mao Tse-tung den »Kulak« in Ruhe gelassen – und Stalin ebenso.

Das Malheur lag aber darin, dass der chinesische Bauer die 30 Mio. Tonnen Getreide (und noch andere Dinge dazu) selber gegessen hat, dass er in der Naturalwirtschaft eingeklammert blieb, dass er sich unfähig erwies, von seiner kleinen Parzelle zu leben, dass er schliesslich also den Weg zu seinem alten Ausbeuter, zum Dorfwucher, wiederfand. Die chinesische Presse begnügte sich damals mit der Anprangerung besonders revoltierender Tatsachen: hier gab es Kulaken, die Geld zum Zinssatz von 50 % und sogar 100 % im Jahr ausliehen, dort wurden die Bauern gezwungen, das vor wenigen Jahren erhaltene Land zu verkaufen. In der Berichterstattung über die dritte Sitzung des chinesischen Volkstags (1950) zeigte die »Volkszeitung«, dass die Kollektivierung die Landverkäufe fast zum Stillstand gebracht hatte. Die Zeitung nannte folgende Zahlen: in den elf Bezirken der Provinz Hebei hatten die armen Bauern 1951 7199 ha verkauft, 1952 = 5714, 1953 = 4903, 1954 2265 und 1955 = 518 ha. Um den Wucher zu bekämpfen bzw. den den Genossenschaften beigetretenen Bauern zu helfen, organisierte der Staat das landwirtschaftliche Kreditwesen, das in wenigen Jahren grossen Umfang annahm: Der Jahresumfang der Staatsdarlehen ging von 302 Mio. Yuan 1951 auf 3200 Mio. 1956.

Diese Tatsache ist besonders kennzeichnend. Die chinesischen Führer hatten zum Zeitpunkt der Landverteilung nicht vor, die soziale Frage auf dem Lande zu lösen. Sie waren aber davon überzeugt, dass diese Reform der Agrarproduktion zu einer bedeutenden Steigerung verhelfen und die Grundlagen für die Industrialisierung schaffen würde.

»Jetzt« – hatte Mao nach dem Ende des Bürgerkrieges gesagt – »ist die Regierung imstande, den armen Bauern zu helfen, damit sie ihre Schwierigkeiten überwinden. Sie kann ihnen Vorschüsse leisten, um die Nachteile auszugleichen, die daraus erwachsen, dass sie weniger Land als die Grossbauern besitzen. Wir müssen unsere Politik gegenüber den Grossbauern ändern. An die Stelle der Enteignung des Bodens soll eine Politik der Erhaltung der Grossbauernwirtschaft treten, um eine prompte Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion zu sichern, die Isolierung der Grundbesitzer zu erleichtern und die Mittel- und Kleinbauern zu schützen«. (Rede auf dem dritten Plenum des VII. ZK der KPCh)

So hat die Politik, die sich auf den Mittelbauern, auf die Kommerzialisierung ihres Produktionsüberschusses und auf progressive Besteuerung (die reichen Bauern mussten 30 % der Ernte als Steuer an den Staat abgehen) stützen wollte, nicht nur einen Bankrott verbucht, sondern sie hat das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollte. Der Produktionsüberschuss wurde vom Bauern verzehrt und es gab keinen Kapitalzufluss aus der Land in die Stadt, sondern umgekehrt, musste ja der Staat bei den Genossenschaftgründungen Darlehen gewähren. Konnte man mindestens hoffen, dass diese Anstrengungen nunmehr unter der Genossenschaftsform nicht umsonst sein würden?

Kennzeichnen Landverteilung und Pacht auf Privateigentum die Morgendämmerung des Kapitalismus, so sind Kooperation und assoziierte Arbeit in Industrie und Landwirtschaft ihrerseits die Anzeichen seiner Reife, des Widerspruches zwischen Entwicklung der Produktivkräfte und bürgerlicher Produktionsverhältnisse. Die stalinistische Doppellüge besteht darin, die Kollektivierung als unfehlbares Patentrezept für die Beschleunigung der Kooperation in der Landwirtschaft und als vollendete »sozialistische« Form auf dem Lande darzustellen. Wir Marxisten können aber der russischen oder chinesischen Kollektivierung keinen Verdienst in der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktivkräfte in Richtung auf die assoziierte Arbeit des Grosskapitalismus zuschreiben. Sie führten in dieser Hinsicht keinen Schritt vorwärts und haben andererseits als solche mit Sozialismus nichts zu tun.

Während der Zeit der »Koalitionsregierung« erwartete Mao weitere Transformationen der landwirtschaftlichen Verhältnisse lediglich als Folge der Entwicklung der bürgerlichen Produktivkräfte.

»Sobald Reformen im Agrarsystem durchgeführt werden, und sei es auch nur der erste Schritt – z. B. Herabsetzung von Pacht – und Darlehenszinsen [und daran knüpft die Landverteilung von 1950 an – IKP] – wird das Interesse der Bauern an der Produktion steigen. Wenn man dann den Bauern hilft, sich nach dem Prinzip der Freiwilligkeit Schritt für Schritt in landwirtschaftlichen Produktions- und sonstigen Genossenschaften zu organisieren, werden die Produktivkräfte wachsen. Vorläufig können diese landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften nur kollektive Arbeitsorganisationen der gegenseitigen Hilfe sein, die auf der bäuerlichen Einzelwirtschaft [auf dem Privateigentum der Bauern] basieren[…]« (»Ausgewählte Werke«, Bd. III, Peking 1969, S. 295)

Wie sollte die Kooperation dann durchgeführt werden? Dadurch, dass die »Interessen« der Bauern nach einer Produktionssteigerung sie allmählich erforderten. Bei alldem kann der Staat weder führen, noch planen, noch irgendeinen »Agrarsozialismus« aufbauen. Er hilft lediglich den Bauern, sich zu organisieren, kurzum, er hilft dem Kapitalismus aus seinen Kinderschuhen heraus. Er spielt offen seine Rolle als Klassenstaat, nennt sich ebenso offen »Volksdemokratie«, plädiert für Koalitionsregierungen im Innern und träumt davon, seine Beziehungen zum Weltkapitalismus durch diplomatische Bündnisse zu festigen.

Mit der Kollektivierung – ändert sich alles. Die Kooperation wird trotz der Produktivkräfte verwirklicht, egal welches Niveau sie inzwischen erreichen konnten. Der »Sozialismus« wird trotz Himmel und Erde »in einem Lande« aufgebaut.

»Die Umwandlung der Einzelwirtschaften von rund 110 Millionen Bauernhöfen in Kollektivwirtschaften und sodann die Vollendung der technischen Umgestaltung in der Landwirtschaft sind tatsächlich mit sehr vielen Schwierigkeiten verbunden« – schreibt Mao in der bereits zitierten Rede vom Juli 1955. »Aber wir müssen daran glauben, dass unsere Partei imstande ist, die Massen bei der Überwindung dieser Schwierigkeiten zu führen.« (ebenda, S. 10)

Hoch der Voluntarismus! Hoch die Heuchelei! Wie soll der Staat bzw. die Partei 110 Millionen Bauernhöfe in Kollektivwirtschaften »umwandeln«, wenn die technischen Voraussetzungen der Kollektivwirtschaft fehlen und erst im Nachhinein eingeführt werden sollen. Hier wird die Partei, wird der Staat zum Demiurg. Er begnügt sich nicht mehr damit, zu »helfen«, sondern hat die Absicht, mit eigenen Händen und nach Gutdünken die Grundlagen, auf denen er beruht, zu schaffen. Gegen die Lüge der russischen Kollektivierung schrieb Trotzki bereits in der »Plattform der linken Opposition«:

»Nur der Prozess der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft kann eine immer breitere Grundlage für die sozialistische Kooperation in der Produktion, für den Kollektivismus, schaffen.
Ohne technische Umwälzung selbst im Bereich der Produktionsmittel, ohne landwirtschaftliche Maschinen, ohne Änderung des ganzen Ackerbausystems, ohne chemische Düngemittel usw. ist jede gründliche, erfolgversprechende Arbeit für die Kollektivierung der Landwirtschaft unmöglich.«

Soweit Trotzki 1927, als Stalin das unsinnige Projekt der Zwangs-»Kollektivierung« noch nicht »plante«, um das Problem der Verhältnisse zwischen Landwirtschaft und Industrie zu lösen, als er noch nicht davon sprach, durch einfaches Aufhängen der reichen Bauern den »Sozialismus« in Russland allein aufzubauen. Die stalinistische Kollektivierung hat den kleinen Bauernhof weder besiegt noch überwunden, sondern vielmehr im Rahmen der Kolchose gefestigt; sie machte aus dem Kolchosbauern eine Schlüsselfigur der kapitalistischen Akkumulation in Russland und der Konterrevolution.

In China kann man nicht von »Konterrevolution« reden, da die maoistische Bewegung von vornherein bürgerliche Ziele verfolgte und unter bürgerlicher Flagge kämpfte. Man muss jedoch zeigen, dass die Kollektivierung keinen »Übergangsweg zum Sozialismus« darstellt, denn der Sozialismus hat mit dem Aufbau einer nationalen Wirtschaft, so entwickelt diese auch sei, nichts zu tun. Schliesslich werden wir auch sehen, dass die Kollektivierung die Widersprüche zwischen Agrikultur und Industrie, zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen, keineswegs zu lösen vermochte.

Von den Genossenschaften zu den Volkskommunen

Im nächsten, abschliessenden Artikel dieser Reihe werden wir den Zusammenhang der chinesischen Kollektivierung mit den Fünfjahresplänen und mit der Frage des Weltmarkts untersuchen. Für den Augenblick beschränken wir uns auf eine Bilanz der maoistischen Agrarreformen vom Gesichtspunkt der Organisationsformen der chinesischen Landwirtschaft und auf die Gegenüberstellung ihres »sozialistischen« Anspruches mit der Wirklichkeit.

Im bereits zitierten Text von 1955 schildert Mao die Etappen der Kollektivierung seit dem Kriege. Nicht ein Programm wird aufgestellt, sondern ein bereits abgespielter Prozess rekapituliert und verklärt – jede durchlaufene Phase wird mit einem roten Schildchen versehen:

»Der erste Schritt im Dorf war der Appell an die Bauern, gemäss den Prinzipien der Freiwilligkeit und des gegenseitigen Vorteils Gruppen der gegenseitigen Hilfe für die landwirtschaftliche Produktion zu bilden, die nur gewisse Keime des Sozialismus in sich tragen [!!!] und nur einige wenige oder 10 oder mehr Bauernhöfe in jeder Gruppe erfassen.« (Ebenda, S. 38)

Diese erste Etappe, die sich von 1947 bis 1953 erstreckte, beinhaltete den zeitweiligen und dann permanenten Austausch der Arbeitskraft unter den Bauern. Diese bleiben Eigentümer ihrer Parzelle und der ganzen Ernte, helfen sich aber gegenseitig in der Erntezeit, leihen sich die wenigen Werkzeuge gegenseitig aus. »Die Armen halfen den Armen« beschrieb man im alten China den Kern dieser Kooperationsform, die eine vorkapitalistische (und nicht »sozialistische«) Form der solidarischen Sicherheit darstellt.

»Dann kam als zweiter Schritt« – schreibt Mao weiter – »der Appell an die Bauern, auf der Grundlage dieser Gruppen der gegenseitigen Hilfe und nach wie vor in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Freiwilligkeit und des gegenseitigen Vorteils kleinere landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften halbsozialistischen Typs [!!!] zu organisieren, die dadurch charakterisiert sind, dass der Boden als Anteil eingebracht und die Wirtschaft einheitlich geführt wird.«

In dieser zweiten Phase (1954–55) hatte der Bauer das Recht, seine Parzelle zu behalten, oder sie und seine Produktionsmittel ganz oder teilweise an die Genossenschaft zu verkaufen oder zu verpachten. Man musste bald feststellen, dass diese Genossenschaften »halbsozialistischen Typs«, anstatt der Spekulation der Grossbauern ein Ende zu setzen, nach und nach in ihre Hände fielen. Die Grossbauern stellten sich gegen die Vermehrung des kollektiven Fonds, verweigerten den armen Bauern sogar das Recht, den Genossenschaften beizutreten, bestimmten die Verteilung des Produkts zugunsten der grösseren und ertragreicheren eingebrachten Anteile. Mit einem, Wort, die Bodenspekulation setzte sich in immer grösserem Umfang fort. Ende 1955 musste man zu einer neuen Etappe übergehen:

»Erst dann folgte als dritter Schritt der Appell an die Bauern, sich auf der Basis dieser kleinen Genossenschaften halbsozialistischen Typs sowie im Einklang mit denselben Prinzipien der Freiwilligkeit und des gegenseitigen Vorteils in noch weiterem Masse zusammenzuschliessen und grosse landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften zu organisieren, die vollsozialistischen [!!!] Charakter tragen.«

Vom »Sozialismus« sind wir noch weit entfernt! Das Gesetz garantiert das Parzelleneigentum. Zunächst wurde jedem Bauern erlaubt, eine Scholle in der Grösse von 5 % der durchschnittlichen Fläche zu besitzen, die jedem Genossenschaftsmitglied zufiel. Anschliessend wurde die Grösse dieser Einzelschollen auf 10 % erhöht, um einer ernsthaften Krise in der Produktion von Schweinefleisch – Grundnahrungsmittel der Chinesen – zu entgegnen. Im Zusammenhang mit der Kollektivierung war die Schweinezucht, die hauptsächlich im Rahmen der Einzelwirtschaft stattfand, gesunken. Der Bestand an Schweinen war von 101,7 Mio. im Jahre 1954 auf 87,9 Mio. 1955 und 84,4 Mio. 1956 zurückgegangen, um 1957 dann auf 145,9 Mio. zu steigen, Bis dahin hatte China die Katastrophe vermeiden können, die den Viehbestand Russlands zur Zeit der stalinistischen Kollektivierung dezimiert hatte, allerdings nur durch erhöhte Zugeständnisse an die kleinbürgerliche Wirtschaft. Ein besonderer Unterschied zwischen der chinesischen Genossenschaft und der Kolchose bestand darin, dass in China die reichen Bauern ihr Land verkaufen konnten, während sie in Russland nach Sibirien mussten… Die wahre ökonomische Katastrophe fing in China erst mit der Errichtung der Kommunen an.

Die Einführung der Volkskommunen fand zu einem Zeitpunkt statt, wo in Russland die »Antipartei-Gruppe« Molotows die Frage stellte, ob man das »genossenschaftliche Eigentum« nicht schnellstmöglich in »Eigentum des ganzen Volkes« verwandeln sollte. Damit zog Molotow die äussersten Schlussfolgerungen der stalinistischen Ära. Er gab zu, dass das Kolchossystem die Hauptschwäche der UdSSR in ihrem Wettbewerb mit dem Westen darstellte. Aber gerade der Charakter dieses Wettbewerbs machte jegliche Infragestellung der bestehenden sozialen Ordnung in der UdSSR unmöglich. So wurde Molotow geschlagen. Chruschtschow begnügte sich damit, Weizen aus den USA einzuführen, um die schwache Kolchosenproduktion auszugleichen. Heute ist nicht mehr davon die Rede, die USA »zu überholen«, und Kossygin unterbreitet einen Fünfjahresplan, der bis 1970 ein langsameres Entwicklungstempo der UdSSR vorsieht.

Während der Streitigkeiten über die »Entstalinisierung« (die sowohl bei Molotow als auch bei Chruschtschow einer Feststellung des Bankrotts des Stalinismus gleichkam) haben die Chinesen keine offene Partei für Molotow ergriffen. Ihr »Internationalismus« schliesst ja bekanntlich die Einmischung in die »inneren« Angelegenheiten eines »Bruderlandes« aus. Da der »sozialistische Aufbau« für sie eine blosse »innere« Angelegenheit ist, begnügten sie sich damit, den verbürgerlichten Kolchosen die Volkskommunen entgegenzusetzen, im festen Glauben, darin ein Rezept für den schmerzlosen Übergang vom Genossenschaftlichen Eigentum zum »Eigentum des ganzen Volkes« gefunden zu haben. Chruschtschow hat wohl mit Staunen feststellen müssen, wie sich der »friedliche« Wettbewerb zwischen der UdSSR und der USA in einen aggressiven Wettbewerb von »sozialistischen« Prahlereien zwischen Moskau und Peking verwandelte! Diese Herrschaften mögen wohl glauben, der »Sozialismus« sei eine »innere« und nationale Angelegenheit: an dem internationalen, weltweiten Charakter des Kapitalismus müssen sie sich stossen – seine unabwendbaren Gesetze waren es, die die russisch-chinesischen Beziehungen zersetzen sollten.

Die erste Resolution der KPCh über die Volkskommunen (29. August 1958) liefert uns folgendes Bild des Problems des »Übergangs zum Sozialismus«:

»Obwohl die Kommunen noch eine Form des genossenschaftlichen Eigentums darstellen, und obwohl die Verteilung (Arbeitstage und Löhne) auf dem Prinzip ›jedem nach seiner Arbeit‹ und nicht ›jedem nach seinen Bedürfnissen‹ beruht, bilden die Kommunen die beste Organisationsform, um den Sozialismus vollständig aufzubauen und nach und nach zum Kommunismus überzugehen. Die Kommunen werden also die soziale Grundeinheit der kommunistischen Gesellschaft darstellen.«

Demzufolge müssten sich die Kommunen auch auf die Städte und auf die grossen Industriezentren ausdehnen. Es scheint jedoch, dass das chinesische Proletariat negativ auf dieses Experiment reagierte. Am 10. Dezember 1958 wurde das Projekt der städtischen Kommunen durch eine neue Resolution der KPCh ad acta gelegt. Die Begeisterung der Theoretiker des »Kommunalsozialismus« kühlte ab. Bereits im August wurde erklärt:

»Die Bildung einer Kommune ist kein Grund für die sofortige Verwandlung des genossenschaftlichen Eigentums in Eigentum des ganzen Volkes« […] »Die volle Umgestaltung des genossenschaftlichen Eigentums in Eigentum des ganzen Volkes wird in gewissen Bereichen einige Zeit (drei oder vier Jahre), in anderen etwas mehr, erfordern.«

Also wurden die Kommunen nicht mehr als Rahmen der fortschreitenden Verwandlung der Genossenschaften in landwirtschaftliche Staatsbetriebe definiert. Dieselbe Resolution kennzeichnete noch den Unterschied zwischen Kommunen und Staatsfarmen:

»Es ist fehl am Platze, sie mit Staatsfarmen zu verwechseln, denn es ist nicht die Funktion der Staatsfarmen, sich gleichzeitig mit der Industrie, der Landwirtschaft, der Bildung und Erziehung, dem Handel und den militärischen Angelegenheiten zu beschäftigen.«

Hier liegt der Haken: entweder sind die Kommunen eine höher entwickelte Produktions- und Organisationsform, die zum Kommunismus führt, und in diesem Falle müssen sich die Staatsfarmen in die Kommunen auflösen, oder sie sind eine niedrige Mischform und können aus diesem Grunde nicht beanspruchen, »soziale Grundeinheit der Kommunistischen Gesellschaft« zu sein. Im Gegensatz zu den vielfältigen und unpräzisen Aufgaben der Kommunen, stehen die der Staatsfarmen fest: Fleisch, Getreide, Reis usw. durch den Lohnarbeiter zu produzieren. So weit geht die Kommune nicht:

»Wenn es möglich ist, wird man Lohnsystem einführen. Wo die Bedingungen aber nicht reif sind, wird man zunächst das alte System der Entgeltung durch Arbeitstage beibehalten.«

Also! Das Ideal, dem die Kommune zustrebt, ist nicht die Einführung des Prinzips »jedem nach seinen Bedürfnissen«, sondern die Voraussetzungen der Lohnarbeit zur »Reife« zu bringen. Das genügt, um das Blabla über die kostenlose Produktenverteilung zu entlarven: es handelt sich nicht um eine nach-, sondern um eine vorkapitalistische Produktenverteilung.

Eine letzte Eigenschaft ist der chinesischen Volkskommune und der russischen Kolchose gemein: das Parzelleneigentum, dessen Fortdauer man an folgendem Passus der Resolution feststellen kann:

»Es ist nicht notwendig, bei der Bildung einer Volkskommune das Problem der individuellen Parzellen, der einzelnen Obstbäume usw. anzugehen. Man muss ohne Überstürzung handeln, und es ist nicht ratsam, in dieser Angelegenheit Regeln aufzustellen.«

Was waren also die Volkskommunen? Im Grunde nichts anderes als regionale Vereinigungen von Genossenschaften. »Alle grossen Genossenschaftsgruppierungen werden Volkskommunen genannt«, verkündete Mao Tse-tung. Was anderes waren sie in der Tat nicht. Die Reform wurde in zwei Phasen durchgeführt: zunächst Zusammenschluss der alten Genossenschaften, dann ihre Verwandlung in Kommunen. Deshalb bezeichnen die offiziellen Texte das Kommuneeigentum als ein Eigentum in drei Stufen. In der Basis finden wir die Produktionsteams (alte Brigaden zur gegenseitigen Hilfe), die 20 bis 30 Höfe erfassen; auf der zweiten Stufe stehen die Produktionsbrigaden, denen Boden und Produktionsmittel für das Laufende Jahr zugeteilt werden; als Krönung des ganzen befindet sich die Kommunen- oder Bezirksorganisation, die weniger eine Produktionseinheit als vielmehr eine Verwaltungsinstanz darstellt.

Die Volkskommune bildet eine Synthese der aufeinanderfolgenden Landreformen und gleichzeitig einen Versuch, sie zu rationalisieren. Wir werden im folgenden Artikel ihre Rolle in der Industrialisierung untersuchen. Unter ihren unmittelbaren Zielen stand nicht zuletzt die Durchführung von grossen Bewässerungsarbeiten, die China nicht entbehren kann, die aber von den zu schwachen und auf die Interessen der Einzelwirtschaft viel zu beschränkten Genossenschaften vernachlässigt worden waren. Zwischen 1959 und 1961 haben die Volkskommunen Zehntausende von Millionen Menschen für Bewässerungsarbeiten und Handwerk mobilisiert. Damit haben sie aber diese Menschenmassen von ihren zwar bescheidenen, aber unerlässlichen Ackerbauaufgaben abgelenkt. Diese riesige Bewegung der Arbeitskraft und der primitive Charakter der Bewässerungsarbeiten (die keinen Widerstand gegen die Naturkatastrophen leisten können) sind die Ursachen des wirtschaftlichen Desasters Anfang der 1960er-Jahre.

Der Misserfolg des »Sprungs nach vorn« hat gezeigt, dass die ganze Volkskommunen- und Kollektivierungsbewegung in China die landwirtschaftliche Kleinproduktion und die Langsamkeit ihrer Entwicklung nicht überwinden konnten. Bereits 1961 konnte man in der »Roten Fahne« (№ 17) lesen:

»Man muss Jahr für Jahr den Kommunemitgliedern eine Erhöhung ihrer Einkommen aus den Nebenbeschäftigungen und den individuellen Parzellen sichern.«

Die Bauern werden zur Ausbeutung ihrer Parzelle ermutigt. Der Artikel präzisiert:

»Sie werden es tun indem sie ihre Freizeit ausnutzen und Hilfsarbeiter einsetzen, um das Sozialprodukt zu erhöhen, ihr eigenes Einkommen zu verbessern, den Markt auf dem Lande zu beleben. […] Wenn die vom Staat bestimmte Aufgabe erfüllt ist, können alle landwirtschaftlichen und Nebenprodukte auf der Markt verkauft werden; sie sollen weder bei der kollektiven Produktion, noch bei der Zuteilung, noch bei der Steuerzahlung in Rechnung gezogen werden.«

Im September 1962 veröffentlichte das X. Plenum des ZK der KPCh ein Kommuniqué, wo diese Orientierung bestätigt wurde. Mit Nachdruck wurde auf die notwendige Förderung des lokalen Handels und der Einzelproduktion, sowie auf die Steigerung des Warenaustausches mit den Städten über den freien Markt und die Abschaffung der kommunalen Kantinen hingewiesen. Mit den Kommunen war es aus. In der westlichen Presse wurde von »Entkollektivierung« gesprochen, das ist aber übertrieben, weil es niemals eine wirkliche Kollektivierung gegeben hatte. Am Schluss dieses Kapitels kann der Leser eine Tafel finden, aus der das Überleben der Kleinproduktion unter den mannigfaltigen Formen ersichtlich ist. Jede dieser »Etappen«, die als Schritt nach vorn gerühmt wurden, reproduziert in der ,»höheren« Form dieselben kleinbürgerlichen Eigenschaften der Parzellenwirtschaft.

Die westliche Welt sprach von »Entkollektivierung«, um darin sofort den »Bankrott des Marxismus« zu erblicken. Dieser wäre unfähig, den Rückstand des russischen und chinesischen Dorfes zu überwinden. In diesem Debakel der Produktivkräfte in Asien, das sich auf den Trümmern der viel schlimmeren Niederlage des revolutionären Weltproletariats abspielte, sehen wir im Gegenteil eine Bestätigung des Marxismus: die kommunistische Gesellschaft hat mit den Aufbau eines Nationalstaates oder einer »nationalen« Wirtschaft nicht das geringste zu tun!

Die verschiedenen Organisationsformen der chinesischen Landwirtschaft
Organisationsform Eigentumsform Betriebsart Einkommen Eigenschaften
Gruppen gegenseitiger Hilfe
(1947–1953)
privat kleine Agrararbeiten, saisonbedingt oder permanent
(6 – 15 Höfe)
Jedes Mitglied erhält den Ertrag seiner Parzelle Überleben der vorkapitalistischen Form der gegenseitigen Hilfe
›Halbsozialistische‹ LPGs
(1954–1955)
1 – Einzelparzellen
2 – Verkauf und Verpachtung v. Land und Produktionsmitteln
Landwirtschafliche Arbeiten und
Nebenbeschäftigungen
(30 Höfe)
1 – aus der Einzelparzelle
2 – anteilige Vergütung im Verh. zum Bodenertr. u. z. geleisteten Arb.
3 – ungeteilter Fonds
Erhaltung des Parzelleneigentums im genossenschaflichen Rahmen
»sozialistische« LPGs
(1956–1958)
privat und genossenschaftlich:
1 – Einzelparzelle (gesetzlich garantiert)
2 – LPG kauft Boden und Produktionsmittel auf
Landwirtschaftliche Arbeiten,
Nebenbesch.
u. grossflächiger Anbau
(150 Höfe)
1 – aus dem Bodenverk.
2 – anteilige Vergt. im Verh. z. geleisteten Arbeit
3 – aus der Einzelparz.
kapitalistischer Konzentrationsprozess über Kauf und Verkauf (russische Kollektivierung
Volkskommunen privat u. genossenschaftlich:
1 – Kommune: Fondsverwaltung u. ind. Tätigkeit
2 – Brigade: Benutzung d. zugeteilten Bodens
3 – Gruppen: Einzelparzellen
landwirtsch. und handwerkl. Arbeit,
Nebentätigkeit;
Konzentr. auf Gemeinde (Hsiang) u. Bez.ebene (Hsien)
1 – 20 bis 30 % Naturalentlohnung
2 – Brigadenlohn
3 – aus der Einzelparzelle
Keine Nationalisierung des Bodens. Die alte genossenschaftliche Brigade bleibt die Grundeinheit der Kommune
Staatsfarmen Staatseigentum mechanisierte Arbeit Erschliesung v. neuem Boden Lohnarbeit
Mehrwertaneignung durch den Staat
ursprünglich Einsatz der demobilisierten Soldaten.
Staatseigentum, aber nicht »sozialistisch«.
Differenzialrente.

Notes:
[prev.] [content] [end]

  1. Wir wiederholen, dass diese Arbeit aus den Jahren 1962–64 datiert. Erst in den letzten Jahren wurde die hier gekennzeichnete Tendenz sogar westlichen »Maoisten« (damals gab es diese Gattung allerdings noch nicht) offensichtlich. Darauf reagierten sie (soweit sie nicht offen in die Arme des westlichen Imperialismus gehen) wie die Trotzkisten gegenüber Tito: »Aber mit der Aussenpolitik stimmen wir nicht überein«. Dass selbige eine Verlängerung der Innenpolitik ist, mit dieser ein Ganzes bildet, kurzum derselben ökonomischen Grundlage und Gesellschaftsform entspricht, bleibt ihnen ein Geheimnis. Verständlicherweise, denn um dies zu wissen, müssten »Pragmatiker« mindestens das Niveau der Grossbourgeoisie erreicht haben.

  2. in Yalta wurde vereinbart:
    »Zwei bis drei Monate nachdem Deutschland sich ergibt und die Kämpfe in Europa aufgehört haben, wird die UdSSR auf der Seite der Alliierten in den Krieg gegen Japan eintreten, unter der Bedingung:
    1. dass der Status quo in der äusseren Mongolei beibehalten wird;
    2. dass die alten Rechte Russlands, die durch den verräterischen japanischen Angriff 1904 verletzt wurden, wieder zur Geltung kommen, d. h.:
    a) dass der südliche Teil von SaChalin und die angrenzenden Inseln wieder an die UdSSR gegeben werden;
    b) dass der Handelshafen von Dairen unter Sicherstellung der darin vorherrschenden Interessen der UdSSR internationalisiert wird und dass die Vergabe von Port Arthur in Pacht als Marinestützpunkt der UdSSR wieder in Kraft tritt;
    c) dass die ostchinesische sowie die südmandschurische Eisenbahn, die die Verbindung zu Dairen herstellt, durch Errichtung einer chinesisch-sowjetischen Gesellschaft betrieben wird, wobei es sich versteht, dass die vorherrschenden Interessen der Sowjetunion gewahrt werden und dass China die volle Souveränität über die Mandschurei behält.
    3. dass die Kurilen wieder an die UdSSR gegeben werden.«

    Bis Mao Tse-tung um die Beziehungen zu Japan zu normalisieren, 1964 erklärte, dass die Kurilen an Japan zurückgegeben werden müssten, ertönten aus Russland nicht die Chruschtschow’schen Schreie von »Nationalismus« und »gelbem Rassismus«. Dann aber stieg der russisch-chinesische Konflikt aus den nebligen Höhen der »Ideologie« auf den Boden der Verhältnisse zwischen Staaten und der brennenden Erinnerungen aus Yalta.
    (Zitat aus den Yaltavereinbarungen aus dem Französischen übersetzt; ebenso alle anderen Zitate des Textes, sofern Angabe einer deutschen Ausgabe nicht ausdrücklich erwähnt)

  3. Es handelt sich im wesentlichen um den Aufsatz über die »Neue Demokratie« (Januar 1940), die Rede »Über die Koalitionsregierung« (1945) und das »Gemeinsame Programm«, das von der beratenden Konferenz des chinesischen Volkes 1949 angenommen wurde. Darin heisst es sehr einfältig: »Die öffentliche Wirtschaft, die Genossenschaftswirtschaft, die Einzelwirtschaft der Bauern und Handwerker, die private und öffentliche kapitalistische Wirtschaft werden vom Staat koordiniert und geleitet…« (Art. 29)

  4. In derselben Schrift gesteht Kao Kang offen, dass »die Aufgabe der Betriebsräte darin besteht, die Arbeitermasse, die Fachleute und die Angestellten zusammenzufassen, sie über die wichtigsten Betriebsprobleme zu konsultieren, bei ihnen allen das politische Bewusstsein und den Arbeitseifer zu erhöhen und schliesslich gegen die Sabotagen und jegliche Streikbewegung zu kämpfen« (die Hervorhebung ist von uns, IKP).

  5. Die im Originaltext gegebene äussert eigenwillige Umschreibung »Kung Kia Che« ist nicht korrekt (sie wurde aus der – auch dort schon falschen – französischen Vorlage des Textes übertragen). Das »System staatlicher Verteilung« nennt sich in Pinyin »gong ji zhi«, die Wade-Giles-Umschrift dafür ist »kung chia chih«, die wir hier statt »Kung Kia Che« eingesetzt haben. (sinistra.net)

  6. siehe »Lenin und die Losung der Arbeiterkontrolle« in »Bulletin« der IKP, № 9, Januar 1976.

  7. An die Adresse der russischen Struves und chinesischen Maos, die alles durcheinander werfen und bei Gelegenheit die Unmöglichkeit, den »Sozialismus« in einem rückständigen Land zu verwirklichen, als Vorwand für die Ablehnung der Arbeiterkontrolle benutzen, schreibt Lenin noch:
    »Diese Betrachtungen sind bis zur Lächerlichkeit dumm, denn die objektive Unmöglichkeit des Sozialismus ist verbunden mit der Kleinwirtschaft, die wir nicht nur gar nicht expropriieren, sondern nicht einmal regulieren oder auch nur kontrollieren wollen.
    Die ›staatliche Regulierung‹, von der die Menschewiki, die Volkstümler und alle Bürokraten sprechen (von denen sich die Genossen Awilow und Basarow mitreissen liessen) um eine Ausrede zu haben, über die sie Pläne schmieden, um die Profite der Kapitalisten zu sichern, über die sie grosse Worte machen, um das Geschäftsgeheimnis unangetastet zu lassen – gerade aus dieser staatlichen Regulierung wollen wir keinen Betrug machen lassen. Das ist der springende Punkt, liebe Beinah-Marxisten, und nicht etwa die ›Einführung‹ des Sozialismus!
    Regulierung und Kontrolle nicht seitens der Kapitalistenklasse über die Arbeiter, sondern umgekehrt, das ist des Pudels Kern. Nicht Vertrauen zum ›Staat‹, das eines Louis Blanc würdig ist, sondern Forderung nach einem von den Proletariern und Halbproletariern geleiteten Staat, so muss der Kampf gegen die Zerrüttung geführt werden. Jede andere Lösung ist nur Phrase und Betrug.«
    (Lenin »Werke« Band 25, S. 33)



Source: »Kommunistisches Programm«, № 13, Januar 1977, S. 47–73

Digitalisierung und redaktionelle Bearbeitung im Oktober 2025. Rechtschreibungs-, Übersetzungs- und andere Fehler wurden stillschweigend berichtigt, chinesische Namen und Bezeichnungen wurden partiell korrigiert und vereinheitlicht.
Wir weisen darauf hin, dass der ursprünglich französische Text und die deutschsprachige Variante vor allem in den letzten Teilen voneinander abweichen, von daher verlinken wir jeweils auf den Anfang der anderssprachigen Artikelserie.

Zur Schreibung chinesischer Namen in diesem Text siehe die Tabelle im ersten Teil.
Zu Fragen der Romanisierung chinesischer Namen etc. siehe unsere Seite (in Englisch) «A Non-Exhaustive Euro-Hannic Transcription Engine»

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